Die deutsche Familie Dachner lässt sich mit ihrer Familie in der Nähe von Boston nieder. Frau Dachner ist von Anfang an begeistert: Das Haus ist perfekt und mit dem Umzug hat alles wunderbar geklappt. Auch ihre Kinder haben schon bald andere Kinder zum Spielen gefunden. Es ist Sommer und man trifft sich unter Nachbarinnen auf ein Glas Sekt und schaut den Kindern beim Spielen zu oder grillt als Familie auch schon mal zusammen. Die Nachbarn sind sehr hilfsbereit und geben viele Tipps. Leider nimmt der anfänglich schon fast überschwängliche Kontakt mit der Zeit ab und Frau Dachner ist zunehmend enttäuscht und fühlt sich wie vor den Kopf gestoßen. Hatten sie nicht eine freundschaftliche Beziehung zu ihren Nachbarn aufgebaut? 

Freundlich heißt nicht freundschaftlich

In den USA geht das Knüpfen von Kontakten schnell. Man nennt sich unkompliziert beim Vornamen und tauscht schnell persönliche und private Informationen aus. Der berühmte „american smile“ darf dabei nicht fehlen. 

Kein Zweifel, die ausgetauschten Nettigkeiten sind ernst gemeint. Aber sie bedeuten nicht, dass man mit der anderen Person befreundet ist. 

Pfirsich- vs. Kokosnusskultur

Der deutsche Sozialwissenschaftler Kurt Lewin hat 1936[1] als einer der ersten formuliert, dass die individuelle Identität auch durch die Kultur geprägt ist, in der die Person aufgewachsen ist. Dieses Modell wird häufig als Pfirsich- und Kokosnuss-Modell bezeichnet, auch Fons Trompenaars benutzt es: https://www.youtube.com/watch?v=hmyfjKjcbm0&feature=emb_logo

. Modelle wie diese verallgemeinern stark und scheren alle Mitglieder einer Kultur über einen Kamm, was zu Stereotypenbildung führen kann. Ist man sich dessen bewusst, ist dies dennoch mit der gebotenen Vorsicht eine adäquate Methode, kulturelle Verhaltensweisen zu untersuchen. 


[1] Kurt Lewin: „There can be close personal relationships without personal friendship“

Lewin, K. (1936). Some social-psychological differences between the United States and Germany. Character & Personality; A Quarterly for Psychodiagnostic & Allied Studies, 4, 265–293.

Pfirsichkultur

Die USA oder auch zum Beispiel Brasilien sind nach dieser Theorie klassische Pfirsich-Kulturen: Das Fruchtfleisch ist weich, der Kern innen hart. Die anfänglich freundliche (weiche) Haltung, mit der jedem mit derselben Freundlichkeit geholfen wird und jeder sich wohlfühlen soll. Um aber zum harten Kern eines Pfirsichs vorzudringen, ist Zeit nötig. Freundlichkeit bedeutet nicht gleich Freundschaft. Dieses amerikanische Verhalten wird häufig als oberflächlich wahrgenommen, da die Menschen lange unverbindlich bleiben und erst nach einer Weile tiefer auf jemanden eingehen. Vielleicht hat dieses Verhalten im Falle der USA mit der schieren Größe des Landes zu tun, in dem Menschen häufig umziehen und deshalb regelmäßig auf Hilfe und ein offenes soziales Umfeld angewiesen sind. 

Kokosnusskultur

Umgekehrt sind die Leute aus einer Kokosnuss-Kultur wie Deutschland oder auch Schweden zu Beispiel verschlossener gegenüber jemandem, mit dem sie keine Freundschaft verbindet. Menschen aus einer Pfirsich-Kultur stufen das zurückhaltende Verhalten von Mitgliedern einer Kokosnuss-Kultur oftmals als arrogant oder sogar feindselig ein. Knackt man aber die harte Schale, ergeben sich langanhaltende Freundschaften. Im Gegensatz zu den USA sind Menschen mit Kokosnuss-Kultur oft weniger mobil und die Beziehungen der Meschen untereinander halten oft ein Leben lang. Nicht von ungefähr gibt es im Deutschen ein Sprichwort, das sagt: „man sieht sich immer zweimal im Leben.“

Interkulturelle Kommunikation erfordert Zeit und Geduld

In Frau Dachners Fall handelt es sich um den weichen Kern eines Pfirsichs, den sie zunächst kennengelernt hat. Frau Dachner ist also auf dem richtigen Weg, mit ihren Nachbarn echte Freundschaft zu knüpfen. Alles, was sie braucht, ist Zeit und Geduld, um auch zum Kern der Personen vorzudringen. 

Was ist mit Ihnen, hatten auch Sie mal eine solche Begegnung? Ich würde mich freuen, wenn Sie mir davon berichten würden!