Arzt

Wer kennt ihn nicht, diesen Satz. Beim Arztbesuch ist sofort jedem klar, was zu tun ist: sich für die eingehende Untersuchung auszuziehen.

Versteht das wirklich jeder? Ein kulturelles Missverständnis

Einer Bekannten von mir, die aus Mauritius kommt und zu diesem Zeitpunkt noch nicht lange in Deutschland wohnte, machte genau dieser Satz sehr zu schaffen.
Die typische Untersuchungssituation bot sich ihr: sie sprach mit dem Arzt, der sich Notizen machte und beim Verlassen des Raumes zu ihr sagte: „machen Sie sich bitte frei…“.
In Deutschland zumindest ist das eine ganz normale Vorgehensweise: die Patienten ziehen sich dann zur weiteren Untersuchung aus, während der Arzt ins Nebenzimmer geht und sich in dieser Zeit einem anderen Patienten widmet. Dann kommt er zurück und untersucht den Patienten.

Ist Ihnen jemals in den Sinn gekommen, dass man den Satz „machen Sie sich frei…“ auch anders verstehen könnte?

Meine Bekannte jedenfalls stand ganz verdattert alleine im Raum und wusste nicht, was sie zu tun hatte.
Bedeutete der Satz, dass sie sich gedanklich frei machen sollte? Oder hatte „sich frei machen“ etwas mit Freiheit zu tun und bedeutete, dass man sich frei nehmen und die Praxis verlassen sollte? Genau so interpretierte meine Bekannte die Situation und verließ die Praxis unverrichteter Dinge. Der Arzt muss nicht schlecht gestaunt haben, als er in das Untersuchungszimmer zurückgekommen ist und die Patientin nicht mehr vorfand.

Was ist passiert?

Nicht jeder, der der deutschen Sprache mächtig ist, versteht die dahinterliegende Bedeutung des oben genannten Satzes. Auch meine Bekannte, die die einzelnen Worte des Satzes kannte, erfasste den Zusammenhang und die damit einhergehende Konsequenz nicht.

Der kulturelle Code von Sprache

Grund dafür sind kulturelle Unterschiede, auch in der Interpretation von sprachlichem Ausdruck. Es gibt ungeschriebene Gesetze, eingeschliffene Verhaltensweisen, die nur Mitglieder ein und derselben Kultur verstehen. Ein Außenstehender, der wie meine Bekannte aus Mauritius noch nicht lange mit den deutschen Gepflogenheiten in Kontakt war, ist damit überfordert, weil er die gesellschaftlichen verbalen und nonverbalen Codes nicht kennt.